Baustellen und Sperrungen
Kirche vor dem Sonntagshorn in Ruhpolding
© © Ruhpolding Tourismus/Andreas Plenk

20.07.2023
 

„Ruhpolding – da G’spiast di wieder“

 

Im Tourismus bleibt weltweit kein Stein auf dem anderen. Was bedeutet das für Ruhpolding? Und wo steht unsere Marke? Sieben Fragen an Dr. Gregor Matjan, Vorstand des Ruhpolding Tourismus KU (RTK).

 

Herr Dr. Matjan, was hat Sie gereizt, Vorstand des Ruhpolding Tourismus KU zu werden?

Dr. Matjan: Ruhpolding hat einen sehr speziellen Charme: Es ist ein großes Dorf mit einer starken Tradition, besonders im Tourismus, der bei Weitem der wichtigste Wirtschaftszweig ist. Die Angebotsvielfalt und die Naturlandschaft bieten beste Voraussetzungen dafür. Andererseits ist in Ruhpolding die Zeit auch ein bisschen stehen geblieben, sodass sowohl bei der Infrastruktur als auch im Tourismusmarketing ein gewisser Aufholbedarf da ist. Mit der Ausgliederung der Tourismusagenden in ein eigenes Kommunalunternehmen hat die Gemeinde einen sehr wichtigen und mutigen Schritt für die Zukunft gesetzt, dem Tourismus mehr eigenständige Handlungsfähigkeit zu geben. Das waren für mich spannende Herausforderungen, um diese Position hier anzutreten.

 

Wo sehen Sie die Marke Ruhpolding zurzeit?

Dr. Matjan: Ruhpolding hat im deutschen Binnenmarkt besonders durch den Biathlon-Weltcup eine extrem hohe Bekanntheit und ein positives Image. Unsere Gastgeber haben viel investiert und sich professionalisiert, und mit der Chiemgau Karte verfügen wir über eine Gästekarte, die unser attraktives Angebot ohne Zusatzkosten erlebbar macht. Wir möchten mit der Marke Ruhpolding aber mehr erreichen, nämlich Heimatgefühl für unsere Gäste spürbar machen – das ist der Kern unserer neuen Positionierung. Ruhpolding soll ein Ort sein, wo die Gäste zu sich finden können, wo sie Natur, Gastfreundschaft und Tradition echt und unmittelbar erleben. So lautet unser neuer Slogan „Ruhpolding – da g’spiast di wieder!“.

 

Welche Herausforderungen kommen auf den Tourismus ganz allgemein zu?

Dr. Matjan: Es ist aktuell eine massive Umbruchsphase. Getrieben durch die Faktoren Digitalisierung, Globalisierung und Corona bleibt kein Stein auf dem anderen. Das haben viele lokale und regionale Player noch nicht hinreichend verstanden. Google und

booking.com wissen mehr über unser Reiseverhalten als wir selbst. Corona hat unsere touristischen Werte komplett verschoben. Statt der Steigerung der Nächtigungen sind Qualität und Verträglichkeit des Tourismus in den Mittelpunkt gerückt – Resonanztourismus lautet hier das Schlagwort. Tourismus wird heutzutage nicht nur als Destinationsmanagement und -marketing, sondern als Lebensraummanagement verstanden, wobei ich mich frage, ob wir damit unsere Möglichkeiten nicht etwas überschätzen.

 

Was bedeuten Nachhaltigkeit und Klimaneutralität für den Tourismus?

Dr. Matjan: Nachhaltigkeit und Klimaneutralität sind Schlagworte, die mit Leben erfüllt werden müssen. Dabei hilft uns, dass Nachhaltigkeit in Ruhpolding quasi erfunden wurde, nämlich durch die örtlichen Forstmeister, die die Wichtigkeit der nachhaltigen Waldbewirtschaftung als Erste erkannt hatten. Daran können wir perfekt anknüpfen und die Themen Holzwirtschaft und nachhaltiges Naturerlebnis wunderbar verbinden. Auch durch seine immer schon touristisch genutzte Bahnanbindung verfügt Ruhpolding über ein Merkmal, um das uns andere Orte beneiden. Dies wird ergänzt durch den kostenlosen Dorflinienbus, der einen Verzicht auf das eigene Auto leicht macht. Auch der Neubau unseres Schwimmbades Vita Alpina wird sich am Gesichtspunkt der Klimaneutralität messen lassen müssen. Unser Risiko ist die Unwägbarkeit des Klimawandels, wie wir speziell diesen Winter gesehen haben. Besonders der Wintertourismus und der Biathlon Weltcup stehen vor der Herausforderung, wie wir in unserer Tallage genügend Schnee bereitstellen können, und das auf nachhaltige Art und Weise. Auch hier werden effizienzfördernde Maßnahmen wie Beschneiungsteiche geschaffen, was die Notwendigkeit der Wasserkühlung für die Schneeproduktion reduziert.

 

Sie sind Experte für digitale Datenerhebung und Auswertung. Was ist darunter zu verstehen?

Dr. Matjan: Daten sind das neue Öl. Sie sind ein wesentliches Kapital – nicht nur im Tourismus. Außerdem sind sie für die strategische Steuerung einer Destination entscheidend: Wenn Sie ein Flugzeug durch den Nebel steuern wollen, müssen Sie auf die Daten Ihrer Instrumente vertrauen – so geht es uns auch im Tourismus. Wir benötigen die richtigen Instrumente zur Datenerhebung, wie z.B. unsere Gästebefragung oder einen Preis- und Auslastungsmonitor für unsere Vermieter, damit wir Auslastung und Wertschöpfung entsprechend steigern und die richtigen von den falschen Maßnahmen unterscheiden können. Auch unsere Gäste sind zufriedener, wenn sie Angebote maßgeschneidert für ihre Inter­essen bekommen, als solche aus der Marketinggießkanne. Dafür benötigen wir aber die entsprechenden Daten über die Präferenzen unserer Gäste, und das natürlich datenschutzkonform.

 

Welche kurzfristigen Ziele streben Sie an?

Dr. Matjan: Kurzfristig geht es darum, den Tourismus nach der Pandemie wieder dorthin zu bringen, wo er davor war, ohne jedoch die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Dazu ist es besonders wichtig, die Bürger in die Gestaltung des Tourismus mit einzubeziehen, wie dies gerade vorbildlich im Bürgerbeteiligungsprozess zum Thema Vita Alpina, Kurhaus und Ortsentwicklung geschieht. Wir wollen keine Hau-Ruck-Aktionen setzen, sondern im Verbund mit Vermietern, Leistungsträgern, Vereinen und Gemeinde das „Netzwerk Tourismus“ in Ruhpolding auf eine vertrauensvolle Basis der Zusammenarbeit stellen, sodass wir am gleichen Strang ziehen. Vertrauen und Gemeinschaftsgeist müssen die Basis für den Ruhpoldinger Tourismus sein, und wir als RTK sehen uns dabei in der Rolle des

Katalysators.

 

Wofür soll 2030 die Marke Ruhpolding stehen? Welche Vision haben Sie für unseren Ort?

Dr. Matjan: In unserem neuen Slogan wird das deutlich. Wir haben unsere Vision geschärft und aktiver formuliert. Sie lautet jetzt: „Ruhpolding macht als führende Tourismusdestination der bayerischen Alpen Heimatgefühl mutig und zeitgemäß erlebbar.“ Es ist wichtig, mutig zu sein, weil wir uns nur so differenzieren können. Schöne Landschaften haben alle anderen Alpenregionen auch. Zeitgemäß waren wir im Tourismusmanagement und -marketing schon immer, seit den Zeiten von Dr. Degener, der mit seinen Ruhpolding-Sonderzügen quasi den Incoming-Tourismus erfunden hatte. Hier können wir an eine sehr starke Tradition anknüpfen. Außerdem möchten wir im Rahmen des Chiemgau Tourismus die innovative Lokomotive sein, die bei der Modernisierung der Infrastruktur und bei digitalen Lösungen vorneweg geht, aber immer bereit ist, alle anderen anzukuppeln und mitzunehmen. Für den Ort bedeutet das, dass Ruhpolding besser erlebbar, spürbar werden soll, nicht nur zu den Festtagen, sondern auch bei den Veranstaltungen und in unserem Angebot generell. Wenn wir das noch digital besser verfügbar machen, können wir neue, jüngere Gäste ansprechen und bestehende Stammgäste besser halten. Außerdem soll so die Wertschöpfung des Tourismus für den Ort erhöht werden.  

 

Vorgestellt: Dr. Gregor Matjan

Geboren 1968, lebt Dr. Gregor Matjan in Mattsee (Salzburger Land). Nach dem Studium der Politikwissenschaft in Wien hatte er verschiedene Positionen in der Instituts- und Konzernmarktforschung inne, u.a. beim Mobilfunkanbieter A1. 2007 übersiedelte er nach Salzburg, war in der Designschmiede KISKA und bei NCR Orderman (Boniersysteme) tätig, wurde 2016 Leiter Digitale Medien, Innovation & Strategie bei der SalzburgerLand Tourismus und machte sich 2020 selbstständig als Berater in den Bereichen Tourismus und Elektromobilität. Seit September 2022 ist er Vorstand des Ruhpolding Tourismus KU (RTK). Dr. Matjan ist leidenschaftlicher Tesla-Fahrer, Kayak-Paddler und Hobbyfotograf.

 

Das Interview führte Boris Glawatsch/trurnit GmbH